Egal ob „Bruder Jakob“ oder „Lalelu“ – es gibt wohl kaum ein Kind, dass nicht gerne singt. Ganz nebenbei spielt das aktive Singen eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Kinder. Spielerisch erforschen sie die Möglichkeiten ihrer Stimme, lernen ihre Aufmerksamkeit längere Zeit zu halten und sich aufeinander abzustimmen.
Die frühe Sprache ist musikalisch
Das Kind verwendet früh die eigene Stimme als Mittel um sich verständlich zu machen und mit seinen Bezugspersonen in Kontakt zu treten. Egal ob durch Glucksen, Schreien, Brabbeln oder Raunzen: die Stimme dient zur Emotionsregulation und zur Verständigung zwischen Eltern und Kind[1]. Und auch die Eltern reagieren auf das Baby auf eine ähnliche Weise; sie benutzen eine Art Sing-Sang-Sprache, die sogenannte „Ammensprache“. Hierbei verwenden Eltern kurze Sätze, sprechen höher und melodiöser, betonen einzelne Wörter und Silben stärker, machen Pausen und wiederholen einzelne Phrasen.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Babys längeren Blickkontakt und Aufmerksamkeit mit ihrem Gegenüber halten, wenn sie von diesem angesungen werden [2]. Ein möglicher Grund, warum Eltern automatisch auf musikalische Art und Weise mit ihren Kindern kommunizieren.
Die positiven Effekte von Musik und Singen auf die Sprachentwicklung des Kindes könnten damit zusammenhängen, dass auch im Gehirn für Musik und Sprache ähnliche Areale von Bedeutung sind [3]. Säuglinge verarbeiten diese vermutlich noch nicht getrennt, sondern das Gehirn versteht Sprache in dieser frühen Phase, als eine Art Musik [4].
Durch aktives Singen oder Vorsingen, können Gefühle wie Angst reguliert werden. Kinder können sich entspannen und sicher fühlen.
Singen kann – so wie Musik ganz allgemein – beruhigende und aktivierende Effekte auf Kinder haben. Diese Effekte lassen sich auf besondere Strukturen im musikalischen Aufbau zurückführen, die auch kulturübergreifend gelten. Man hat beispielsweise herausgefunden, dass Schlaflieder in verschiedenen Kulturkreisen ähnliche Merkmale aufweisen: geringer Tonumfang, absteigende Melodien und langsames Tempo [5].
Dass aktives Singen oder Anhören von Liedern eine Vielzahl von Gefühlen auslösen kann, das hat sicher jede:r schon einmal erlebt – nicht nur bei Kindern. Das kommt unter anderem daher, dass Singen sich unmittelbar auf verschiedene Hormone auswirkt, die mit Gefühlen in Zusammenhang stehen. Dabei bevorzugen Kinder ihnen vertraute Stimmen, wie beispielsweise die der Mutter. Beim Vorsingen von beruhigenden Liedern und Melodien sinkt das Stresshormon Cortisol nachhaltiger als beim Sprechen allein und das Kind fühlt sich sicher und entspannt[6].
Durch gemeinsames Singen erleben Kinder Geborgenheit und Zusammengehörigkeit.
Viele Eltern haben Sorge, mit ihren Kindern zu singen, weil sie das Gefühl haben, selbst unmusikalisch zu sein oder Töne nicht zu treffen. Dabei geht es beim gemeinsamen Singen weniger um das Treffen von exakten Tönen, sondern vielmehr darum, auf gleicher Ebene mit dem Kind emotionale Nähe auszudrücken, gemeinsam Spaß zu haben und somit die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken.
Im Gegensatz zur Sprache, ist Singen auch gleichzeitig möglich und kann Gefühle von Zusammengehörigkeit und Verbundenheit auslösen. Unser Bindungshormon Oxytocin – auch oft als Kuschelhormon bezeichnet – spielt dabei eine wichtige Rolle: man hat herausgefunden, dass dieses beispielsweise beim gemeinsamen Singen im Chor vermehrt ausgeschüttet wird [7].
Menschen sind vor allem am Anfang ihres Lebens auf zwischenmenschliche Beziehungen angewiesen. Wir lernen früh durch Imitation und können uns nur dann gut entwickeln, wenn wir eine sichere Bindung zu unseren Bezugspersonen aufgebaut haben. Singen kann dabei helfen diese Bindung zu stärken und Kinder damit in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Literatur
Stegemann, Thomas (2020). Was MusiktherapeutInnen über das Gehirn wissen sollten. Neurobiologie für die Praxis. München: Reinhardt-Verlag.
Sallat, Stephan (2020). Sprachförderung und Musik. In Buschmann, Anke; Bockmann, Ann-Katrin; Sachse, Steffi (Hrsg.), Sprachentwicklung (S. 381-396). Berlin: Springer.
Kreutz, Günther (2014). Warum Singen glücklich macht. Gießen: Psychosozial-Verlag.
[1] Kreutz, 2014, S. 54 [2] Nakata & Trehub, 2004, zit. nach Kreutz, 2014, S. 56 [3] vgl. Baumann et al. 2007; Koelsch et al. 2002a; Meister et al. 2004; Özdemir et al. 2006, zit. nach Sallat 2020, S. 384 [4] Koelsch und Siebel 2005, zit. Sallat 2020, S. 383 [5] Stegemann 2020, S. 205 [6] Trehub 2003, zit. nach Stegemann 2020, S. 205 [7] Kreutz, 2014, zit. nach Stegemann 2020. S. 206
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